Warum Baclofen KEIN Alkoholersatz ist

Gelegentlich werde ich mit der Aussage konfrontiert, dass die Baclofen-Therapie lediglich eine Suchtverlagerung weg vom Alkohol und hin zu einem Medikament sei. Das ist nicht korrekt. Baclofen ist kein Substitut (also kein „Suchtmittelersatz“), wie es beispielsweise Methadon für (ehemals) Heroinabhängige ist.

Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich etwas näher mit den Stoffwechselveränderungen durch Alkohol beschäftigen. Ich versuch’s mal, auf einfache Weise, Schritt für Schritt, mit einer kleinen Reise in unser „Hirn“:

Um Entspannung, Wohlbefinden, Ausgeglichenheit, Ruhe etc. zu erlangen, nutzt unser Stoffwechsel unter anderem den körpereigenen Botenstoff Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). GABA verlangsamt die Aktivität von anderen Nervenzellen („hemmende Wirkung“) und sorgt somit für Beruhigung. Das ist ein ganz normaler, natürlicher Vorgang:

GABA (hier als kleine orange-gelbe Kügelchen dargestellt) ist für gewöhnlich in Bläschen in den Nervenzellen eingelagert.

Wenn wir uns entspannen wollen, wird ein elektrisches Signal (hier neongrün dargestellt) ausgesendet.

Das ist das Zeichen dafür, dass GABA ausgeschüttet werden soll. Die Bläschen verschmelzen mit den Membranen („Wänden“) der Nervenzellen…

…und GABA wird in den Raum zwischen zwei Nervenzellen (synaptischer Spalt) ausgeschüttet.

Von dort aus nehmen dann die GABA-Rezeptoren (in der Darstellung hier die roten „Trichter“) den Botenstoff GABA auf…

…und senden ihrerseits ein hemmendes, beruhigendes Signal (hier rot dargestellt) an andere Nervenzellen aus. Mit der Botschaft: „Freunde, schaltet mal einen Gang zurück. Jetzt wird erstmal ausgeruht!“

Danach – und das ist jetzt ENTSCHEIDEND – „lassen“ die GABA-Rezeptoren den Botenstoff wieder „los“!

Soweit also der ganz normale, körpereigene, natürliche Entspannungsvorgang mithilfe des Botenstoffes GABA. Der gerät durcheinander, wenn Fremdstoffe von außen (z. B. Alkohol) mit ins Spiel kommen.

Alkohol (hier gelb dargestellt) „mogelt“ sich nämlich in den synaptischen Spalt…

…und „beißt“ sich an den GABA-Rezeptoren fest.

Wenn jetzt der natürliche Entspannungsvorgang einsetzt…

…wirken die „festgebissenen“ Alkoholteilchen an den Rezeptoren wie ein „Magnet“, so dass der Botenstoff GABA viel länger an die Rezeptoren gebunden ist als sonst. Dadurch werden für eine längere Zeit hemmende Signale geschickt. Die hemmende Wirkung von GABA hält also viel länger an.

Mit fatalen Folgen für unseren Stoffwechsel. Gerade, wenn die Alkoholzufuhr regelmäßig stattfindet. Denn da jetzt die „Einsatzzeit“ von GABA künstlich verlängert wurde, muss auch nicht mehr so viel körpereigene GABA produziert werden. Klar, oder? Wenn ich in meiner Firma vier Mitarbeiter habe und merke, dass die plötzlich alle viermal so lange arbeiten können wie früher, dann kann ich ja drei entlassen. In dieser Hinsicht denkt unser Körper sehr ökonomisch..

Also wird die GABA-Produktion auf ein Minimum reduziert. Wenn jetzt irgendwann der „Magnet“ Alkohol nicht mehr da ist, weil sich Mensch dazu entschlossen hat, mit dem Trinken aufzuhören, haben wir ein Problem. Der Körper hat nach all den Jahren ein Stück weit „verlernt“, ausreichend viel GABA zu produzieren.

Und hier kann Baclofen helfen. Baclofen ist nämlich nichts anderes als ein GABA-Agonist, also vereinfacht gesagt, künstliche GABA. Wenn überhaupt, dann ist Baclofen also bestenfalls ein GABA-Ersatz und KEIN Ersatzstoff für den Alkohol.

Bei der Baclofen-Therapie wird also zunächst versucht, den ursprünglichen, natürlichen Entspannungsvorgang, der durch den langjährigen Alkoholkonsum aus dem Gleichgewicht geraten ist, zu imitieren. In der Hoffnung, der Stoffwechsel „erinnert“ sich wieder daran, wie es früher mal war und schraubt die körpereigene GABA-Produktion allmählich wieder hoch.

Vielleicht wird nach dieser Erklärung auch etwas deutlicher, warum man für die Baclofen-Therapie ein bisschen Geduld mitbringen muss, und warum der gleichzeitige Konsum von Alkohol so kontraproduktiv für den „Genesungsprozess“ ist. Es gibt nämlich durchaus Hinweise darauf, dass der Stoffwechsel sich regenerieren kann, und dass Patienten nach einer gewissen Zeit der Baclofeneinnahme das Medikament wieder ausschleichen können oder nur in ganz bestimmten Situationen nach Bedarf nutzen, weil der Stoffwechsel wieder genügend körpereigene GABA produziert.

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