Vorgezogene, vorerst auf drei Jahre befristete französische Zulassung (RTU)

Die französischen Gesundheitsbehörden haben das Thema Baclofen gesellschafts- und gesundheitspolitisch als so wichtig eingestuft, dass sie angesichts der sehr erfolgversprechenden Datenlage aus Erfahrungen mit bisher einigen zehntausend behandelten Patienten im März 2014 eine vorgezogene, vorläufig auf drei Jahre befristete Zulassung (RTU) erteilt haben, ohne wie sonst üblich Resultate Klinischer Studien hoher Evidenzklasse abzuwarten.

Eine solche Entscheidung wurde jedenfalls am 14. März 2014 von der Französischen Agentur für die Überwachung der Medikamentensicherheit (ANSM) veröffentlicht. Dem vorausgegangen waren diverse Initiativen von Patienten- und Ärztevereinigungen, denen sich in Petitionen dann auch national bekannte Persönlichkeiten des französischen Gesundheitswesens anschlossen, darunter Mitglieder der Académie nationale de Médecine sowie Prof. Didier Sicard, ehemaliger Präsident und heutiger Ehrenpräsident der französischen nationalen Ethikkommission. In Frankreich waren auch das Medienecho und das allgemeine öffentliche Interesse ungleich höher als in anderen Ländern, so dass es in diesem europäischen Land als erstem und bisher einzigem zu einer solchen Zulassung von hoch dosiertem Baclofen (bis 300 mg / Tag) als Therapieoption der Alkoholabhängigkeit kam.

„RTU“ ist die Abkürzung für „Recommandation Temporaire d’Utilisation“. Wörtlich übersetzt: „Zeitlich befristete Anwendungsempfehlung“. Aus dem Französischen Medizin- und Behörden-Jargon übersetzt: „Zeitlich befristete Zulassung“. Unsere hier verwendete Übersetzung: „Vorgezogene und zeitlich befristete Zulassung“. „Vorgezogene“ deshalb, weil nach einem relativ jungen französischen Gesetz von 2011 (Artikel 18  des: „Loi n° 2011-2012 du 29 décembre 2011 relative au renforcement de la sécurité sanitaire du médicament et des produits de santé“) wie bereits beschrieben Resultate von Klinischen Studien hoher Evidenzklasse nicht abgewartet werden müssen, wenn der Nutzen einer solchen frühen Zulassung höher gewichtet wird als allfällige Risiken. Nach Aussagen von 2013 des Direktors der französischen Agentur zur Überwachung der Medikamentensicherheit (ANSM), Prof. Dominique Maraninchi, ist Frankreich das einzige Land, welches über ein solches Instrument (RTU) verfügt, und Baclofen ist das erste und bisher einzige Medikament, welches dort von einer solchen RTU profitiert hat.

Obwohl eine solche RTU von den Befürwortern der Baclofen-Therapie schon lange herbeigewünscht wurde, stieß sie dann doch in einzelnen Punkten auf Kritik:

  • Die Kontraindikation von psychischen Erkrankungen sei nicht zielführend. Dies widerspeche allen bisher mit dem Medikament gemachten Erfahrungen.
  • Ab 120 mg / Tag muss die Zweitmeinung eines erfahrenen Suchtmediziners eingeholt werden. Die Kritiker begrüßen zwar eine solche Regelung, möchten dies aber nicht automatisiert, sondern in den Händen des jeweils behandelnden Arztes sehen.
  • Ab 180 mg muss sogar die Zweitmeinung einer anerkannten suchtmedizinischen Einrichtung (CSAPA) oder der suchtmedizinischen Abteilung eines Spitals mit entsprechender Erfahrung eingeholt werden.
  • Für nicht adäquat halten die Kritiker, dass Baclofen erst als letzte Chance verschrieben werden darf, nachdem die sonstigen verfügbaren Therapien scheiterten.
  • Für Alkoholabhängige muss zwingend Abstinenz die Zielsetzung sein. Lediglich für Personen mit riskantem Konsum kann auch die Reduktion auf ein gesundheitlich unbedenkliches Niveau anvisiert werden. Auch diese Einschränkung wird bemängelt.
  • Leberschädigung als Kontraindikation sei wissenschaftlich nicht haltbar, so die Kritiker.

Bekräftigt wurde diese Kritik in einer Pressemitteilung vom 17. März 2014 der Ärztevereinigung RESAB, gemeinsam unterzeichnet mit der „Fédération Addiction“, einem Verbund von 420 Ärzten sowie 205 juristischen Personen, welche ihrerseits 700 medizinische Einrichtungen (CSAPA, CAARUD, CJC, CTR, CT, ELSA etc.) vertreten. Nur wenige Tage später folgte eine weitere, fast gleichlautende Pressemitteilung, diesmal gemeinsam herausgegeben von praktisch allen französischen psychiatrischen Fachverbänden (CNQSP, CNUP, FFP, IDEPP, SNPP, SPEP, SPF, SPH, CFE-CGC, SUP, USP). Obwohl diese Aufrufe nicht zu einer Änderung der Durchführungsbestimmungen  führten, bleibt die RTU ein wertvolles Instrument, welches nun in Frankreich einem großen Kreis von Patienten, Ärzten und Therapeuten die Baclofen-Therapie der Alkoholabhängigkeit ermöglicht. Es darf aber auch vermutet werden, dass angesichts der oben erwähnten Einschränkungen ein gewisser Anteil der Therapien streng genommen weiter „off-label“ stattfindet.

Deutsches Medienecho

Deutsches Medienecho zur vorläufigen Zulassung (RTU) in Frankreich

Facebooktwittergoogle_plusredditpinterestlinkedinmailFacebooktwittergoogle_plusredditpinterestlinkedinmail
Bookmark the permalink.

Comments are closed.